Ausgabe 4/2018, Oktober

WIdO-Themen

Umfrage: Wie geht es Geflüchteten in Deutschland?

Über die gesundheitliche Ausgangssituation Geflüchteter in Deutschland liegen bisher nur unzureichende Erkenntnisse vor. Um diese Lücke zu schließen, hat das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) Geflüchtete hierzu befragt.

Die Befragung fand unter 2.021 Geflüchteten aus Syrien, dem Irak und Afghanistan statt, die erst bis zu zwei Jahre in Deutschland sind und noch in Aufnahmeeinrichtungen zu erreichen waren. Das Ergebnis zeigt: Rund drei Viertel der Schutzsuchenden (74,7 Prozent) haben unterschiedliche Formen von Gewalt erlebt und sind oft mehrfach traumatisiert. Im Vergleich zu Geflüchteten, denen diese Erlebnisse erspart blieben, berichten sie mehr als doppelt so oft über physische und psychische Beschwerden. Mehr als zwei Fünftel aller Befragten (44,6 Prozent) zeigen Anzeichen einer depressiven Erkrankung.

„Nichts an der Flucht ist flüchtig: Sie stülpt sich über das Leben und gibt es nie wieder frei“, so eine Bewertung des Schriftstellers Ilija Trojanow in seinem Buch „Nach der Flucht“. Tatsächlich haben viele Geflüchtete bereits Schreckliches im Herkunftsland erlebt. Um den Schutzsuchenden zu helfen, sollten sie ab dem ersten Tag umfassenden Zugang zu medizinischer Versorgung haben, wie dieser auch GKV-Versicherten zusteht. Bürokratische und sprachliche Hemmnisse müssen abgebaut, psychotherapeutische Angebote ausgebaut werden. Dafür könnte es hilfreich sein, geflüchtete Ärzte und Psychotherapeuten möglichst zügig ins deutsche Gesundheitssystem einzugliedern. Ihre Hilfe ist für geflüchtete Patienten möglicherweise besonders akzeptabel, da sie aus den gleichen Sprachräumen und Kulturkreisen kommen. Aber auch innovative Ansätze wie arabischsprachige Apps können bei der Bewältigung von traumatischen Kriegs- und Fluchterfahrungen unterstützen.

Die Ergebnisse der Studie (Schröder, Zok, Faulbaum 2018) zeigen eine vergleichsweise gute persönliche Ausgangssituation: Die Befragten sind jung (32,7 Jahre), sie berichten über eine Schulbildung von durchschnittlich knapp neun Jahren und haben im Heimatland mehrheitlich einen Beruf ausgeübt (57,4 Prozent). Jeder Sechste befand sich in schulischer oder universitärer Ausbildung (16,3 Prozent). Die erfolgreiche Integration in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt gelingt jedoch nur mit einer angemessenen Sprach- und Kulturvermittlung. Dies würde auch den Zugang zum Gesundheitssystem erleichtern.

Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des WIdO

„Die meisten Schutzsuchenden haben im Herkunftsland und auf der Flucht Schreckliches erlebt. Ihnen sollte deshalb rasch und unbürokratisch Hilfe angeboten werden.“

Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des WIdO

Arzneiverordnungs-Report: Überzogene Preisforderungen

Die Arzneimittelausgaben sind 2017 im Vergleich zum Vorjahr um 3,7 Prozent gestiegen. Wichtigster Grund ist der Trend zu besonders teuren Arz­neimitteln.

Hauptursache für die steigenden Arzneimittelausgaben sind patentgeschützte Präparate. Ihr Umsatzanteil hat sich in den letzten 20 Jahren von 33 Prozent auf 45 Prozent erhöht. Seit Mitte 2011 entkoppeln sich zudem die Preise der neuen patentgeschützten Arzneimittel von den Arzneimitteln des gesamten Patentmarktes: Lagen die durchschnittlichen Packungspreise neuer wie alter Patentarzneimittel im Jahr 2011 noch auf einem Niveau, sind die neuen im Jahr 2018 bereits doppelt so teuer. Mit der Bewertung des Zusatznutzens gelingt es, die Spreu vom Weizen zu trennen und die Preise für Präparate entsprechend ihres Zusatznutzens zu senken. Im Durchschnitt sind so die Preise 18 Monate nach Markteintritt eines Produkts um 20 Prozent geringer. Allerdings variiert dieser Abschlag stark. Dies verdeutlicht, wie willkürlich und teilweise deutlich überzogen die Preisforderungen der Hersteller bei Markteintritt oft sind.

Wie die Entwicklungen im Arzneimittelmarkt 2017 aus pharmakologischer und ökonomischer Sicht zu beurteilen sind, bewerten über 40 Autorinnen und Autoren im neu erschienenen Arzneiverordnungs-Report 2018.

QSR-Indikatoren: Prothesenwechsel und Leistenbruch

Das WIdO hat im Rahmen des Verfahrens „Qualitätssicherung mit Routinedaten“ (QSR) Indikatoren zum Austausch von Hüftprothesen und zur Leistenbruch-Operation veröffentlicht.

Beide Eingriffe zählen zu den häufigsten orthopädischen beziehungsweise bauchchirurgischen Operationen. Die mit Klinikern entwickelten Indikatoren zum Prothesenwechsel erweitern die QSR-Qualitätsmessung zur Erstimplantation. Gegenüber dem Ersteingriff ist die Wechsel-OP schwieriger, weil sich die neue Prothese häufig nicht gut verankern lässt. Jeder siebte der 17.773 AOK-Patienten mit einer nicht durch Fraktur oder Infektion bedingten Wechsel-OP zwischen 2014 und 2016 musste binnen zwölf Monaten erneut operiert werden, rund jeder 20. erhielt mehr als 1,5 Liter Blutprodukte. Kliniken können ihre Ergebnisse im insgesamt 20 Leistungen umfassenden QSR-Klinikbericht abrufen. Im Herbst 2019 ist die Veröffentlichung im Webportal AOK-Krankenhausnavigator geplant. Dort finden Patienten bereits Klinikergebnisse zu acht Operationen, für die das WIdO rund 800.000 Eingriffe in den Jahren 2014 bis 2016 ausgewertet und bis Ende 2017 nachbeobachtet hat.

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Fehlzeiten-Report 2018: Was Beschäftigte gesund hält

Sinnstiftende Arbeit wirkt sich positiv auf die Gesundheit aus. Das zeigt eine Beschäftigten­befragung des WIdO, die im aktuellen Fehlzeiten-Report erschienen ist.

Bei der Frage, ob eine beruf­liche Tätigkeit als sinnvoll erlebt wird, lassen sich drei Ebenen unterscheiden: die Kooperationsebene, der individuelle Tätigkeitskontext und der gesellschaftliche Nutzen. Vergleicht man auf diesen Ebenen die Wünsche der Beschäftigten und die betriebliche Wirklichkeit, zeigen sich Lücken: Der Anspruch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird nicht selten enttäuscht. Passen jedoch Anspruch und Wirklichkeit gut zusammen, führt das zu weniger arbeitsbedingten Beschwerden, weniger Fehlzeiten und weniger Präsentismus. Der Fehlzeiten-Report 2018 widmet sich in 28 Fachbeiträgen dem Schwerpunktthema „Sinn erleben – Arbeit und Gesundheit“ und enthält zudem detaillierte Arbeitsunfähigkeits-Analysen für alle Branchen.

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Analysen – Schwerpunkt: Steuerung

Wege zu einer sektorenübergreifenden Versorgungsplanung

Philip Wahlster, Sandra Teichmann und David Herr, Geschäftsstelle des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, Berlin

Die zunehmende Komplexität von Versorgungswegen im Gesundheitssystem erfordert sektorenübergreifende Konzepte. Doch die Trennung in ambulant und stationär ist ausgeprägt und betrifft bereits die Kapazitätsplanung. Zur Entwicklung einer sektorenübergreifenden Planung hat der Sachverständigenrat Gesundheit in seinem Gutachten 2018 verschiedene Empfehlungen formuliert. So könnten die ambulanten und stationären Kapazitäten in einem für beide Bereiche zuständigen regionalen Gremium koordiniert werden, in dem die Planungs- und Finanzierungsverantwortung eng miteinander verknüpft sind. Die Methodik sollte von einer Kapazitätsfortschreibung hin zu einer prospektiven und morbiditätsorientierten Planung reformiert werden. Eine stärkere Leistungsorientierung ermöglicht nicht nur eine bessere Transparenz, sondern auch eine bedarfsorientierte Vergabe von Leistungsaufträgen. Eine Leistungserbringung durch interdisziplinäre Teams sollte stets mitgedacht werden. Flankierend sollte das Vergütungssystem reformiert werden, damit Leistungen dort erbracht werden, wo der Patient effizient und qualitativ hochwertig versorgt werden kann. Dieser Artikel skizziert die notwendigen Ansätze, verschiedene Dimensionen der Angebotskapazitätsplanung sektorenübergreifender zu gestalten.

Die Parallelität der Vergütungssysteme für den ambulanten Bereich

Jürgen Wasem, Universität Duisburg-Essen

Eine wissenschaftliche Kommission soll bis Ende 2019 Vorschläge für ein modernes Vergütungssystem für den ambulanten Bereich schaffen. Die Aufgabe ist alles andere als trivial. Die beiden bisherigen Honorarysteme – das eine gilt in der gesetzlichen Krankenversicherung, das andere in der privaten Krankenversicherung – unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht und stehen wegen jeweils unterschiedlicher Probleme in der Kritik. Unklar ist, welche Maßstäbe die Kommission anlegen soll. Aus Sicht des Autors muss eine gesamtgesellschaftliche Perspektive gewählt werden. Wichtig sind unter anderem Anreize zur Versorgungsqualität, zur Wirtschaftlichkeit und zur Gleichheit im Patientenzugang.

Reform der Qualitätsprüfung und -darstellung im Pflegeheim: Stand der Umsetzung und offene Fragen

Antje Schwinger, Susann Behrendt, Wissenschaftliches Institut der AOK, Berlin

Die Qualitätsprüfung in Pflegeheimen wird zurzeit grundlegend reformiert. Ein zentrales Novum stellt dabei die Einführung eines indikatorgestützten Verfahrens zur Messung und Darstellung der Ergebnisqualität dar. Ein neues Gutachten beschreibt die Ausgestaltung dieser neuen Indikatoren. Gleichwohl bleiben viele Fragen unbeantwortet. Dies betrifft das Themenspektrum, die Art und die Anzahl der Qualitätsindikatoren ebenso wie die weiterhin ausstehende Entscheidung für das Risikoadjustierungsverfahren. Wissenschaftliche Expertisen und die (inter-)nationale Qualitätssicherungspraxis sprechen hier für das Regressionsmodell als Adjustierungsverfahren. Plädiert wird für eine stufenweise Einführung der Indikatoren sowie eine Verfahrensordnung zur perspektivischen Weiterentwicklung.