Ausgabe 1/2019, Januar
WIdO-Themen
Qualitätsmonitor 2019: Geringere Sterblichkeit in Kliniken mit vielen TAVIs
Bei vielen Eingriffen kommt es umso seltener zu Komplikationen, je häufiger und regelmäßiger eine Klinik sie durchführt. Das gilt auch für den Aortenklappenersatz mittels Herzkatheter, resümieren Kardiologen und Herzchirurgen im Qualitätsmonitor 2019.
Bei der kathetergestützten Aortenklappenintervention wird die Aortenklappe mittels eines Herzkatheters durch eine künstliche Prothese ersetzt. Der Eingriff wird vorgenommen, wenn die natürliche Herzklappe nicht mehr vollständig schließt oder der Klappenbereich verengt ist. Bei Patienten mit hohem operativen Risiko für einen konventionellen, offen-chirurgischen Klappenersatz ist die Transkatheter-Aortenklappenintervention, kurz TAVI, die Methode der Wahl. Deren Fallzahl hat sich in den vergangenen fünf Jahren mehr als verdoppelt: Im Jahr 2016 gab es in Deutschland bereits über 17.000 Eingriffe in 97 Kliniken.
Professor Dr. Volkmar Falk vom Deutschen Herzzentrum Berlin und Professor Dr. Stefan Blankenberg vom Universitären Herzzentrum Hamburg berichten im aktuellen Qualitätsmonitor auf Grundlage internationaler und deutscher Studien über den Effekt einer höheren TAVI-Routine, definiert über die Anzahl der Eingriffe. Dabei kommen sie zu dem Schluss, dass eine solche Routine sowohl Todesfälle und Komplikationen reduziert als auch Verweildauer und Behandlungskosten senkt.
Eine Analyse der Qualitätsberichte deutscher Kliniken durch das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) bestätigt diesen Zusammenhang für 2016. Bei einer durchschnittlichen Fallzahl von 176 TAVIs pro Klinik und einer Krankenhaussterblichkeit von 2,9 Prozent zeigten sich bei diesem anspruchsvollen Eingriff deutliche Unterschiede zwischen den Krankenhäusern. In Häusern mit weniger als 100 TAVIs pro Jahr lag das Verhältnis von erwarteter zu beobachteter Sterberate bei 1,46 – hier starben 46 Prozent mehr Patienten als erwartet. In Kliniken mit über 200 Eingriffen jährlich sank der Quotient dagegen auf 0,68 – die Rate beobachteter Todesfälle lag hier 32 Prozent unter dem Erwartungswert.
Für die Patientensicherheit spielt neben der Fallzahl auch der mögliche Zugang zur Herzchirurgie eine Rolle. Die europäischen Leitlinien zu Herzklappenerkrankungen empfehlen die Durchführung von TAVIs deshalb nur an Zentren mit kardiologischer und herzchirurgischer Versorgung.
Der Qualitätsmonitor 2019, den der Verein Gesundheitsstadt Berlin, die Initiative Qualitätsmedizin (IQM) und das WIdO herausgeben, informiert außerdem für sechs ausgewählte Krankheitsbilder und Behandlungen detailliert zu Fallzahlen und Qualitätskennzahlen deutscher Kliniken. Neben den TAVIs und dem Bereich Geburtshilfe stehen Herzinfarkte, Harnblasenentfernungen sowie Eingriffe an der Bauchspeicheldrüse und der Speiseröhre im Fokus. Eine Klinikliste stellt die Ergebnisse von insgesamt 1.401 Krankenhäusern bundesweit dar.
„Auch beim Ersatz der Aortenklappen per Herzkatheter überleben mehr Patienten in Kliniken mit einer höheren Fallzahl.“
Christian Günster, Leiter des Bereichs Qualitäts- und Versorgungsforschung am Wissenschaftlichen Institut der AOK
Heilmittelbericht 2018: Therapien bei Schulanfängern leicht rückläufig
In den letzten zehn Jahren wurde bei immer mehr Fünf- bis Siebenjährigen eine Entwicklungsstörung diagnostiziert. Der Anteil der Kinder, die deswegen eine Sprach- oder Ergotherapie erhalten, stieg dabei nicht im gleichen Maße. Das zeigt der Heilmittelbericht 2018 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO).
Bei 27,5 Prozent der fünf- bis siebenjährigen Kinder wurde im Jahr 2008 eine Entwicklungsstörung diagnostiziert. Zehn Jahre später lag dieser Anteil bei 34,8 Prozent. Damals wie heute erhalten Jungen deutlich häufiger eine solche Diagnose. Die Entwicklung bei den Heilmittelverordnungen, in diesen Fällen vor allem Sprach- und Ergotherapie, ist diesem Trend allerdings nicht gefolgt: Hier war der Verordnungsanteil in den Jahren 2011 bis 2015 höher als im Jahr 2017.
Da ihre Sprech- und Sprachentwicklung gestört ist, erhalten über 80 Prozent dieser Kinder eine Sprachtherapie. An zweiter Stelle stehen motorische Entwicklungsstörungen, die zu 90 Prozent mit Ergotherapie behandelt werden.
Für den Heilmittelbericht 2018 hat das WIdO die über 37,2 Millionen Heilmittelrezepte analysiert, die im Jahr 2017 für die rund 71,4 Millionen gesetzlich Krankenversicherten ausgestellt wurden. Heilmittel umfassen ergotherapeutische, sprachtherapeutische, podologische und physiotherapeutische Leistungen, die im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung mit den Krankenkassen abgerechnet werden.
Der größte Anteil der Verordnungen entfällt auf Physiotherapie: Hier erhielten 4,4 Millionen Patienten insgesamt 12,8 Millionen Verordnungen mit zusam- men 88 Millionen einzelnen Be- handlungssitzungen. Bei knapp einem Drittel dieser Patienten waren Rückenschmerzen der Grund für die Behandlung.
Der Heilmittelbericht 2018 zeigt langjährige und regionale Trends in der Heilmittelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung. Für AOK-Versicherte wird die Versorgung zudem alters-, geschlechts- und diagnosespezifisch mit vielen Abbildungen und Tabellen dargestellt.
Arzneimittel: Amtliche ATC-Klassifikation für 2019
Seit dem 1. Januar 2019 gilt die neue amtliche anatomisch-therapeutisch-chemische Klassifikation mit Tagesdosen für den deutschen Arzneimittelmarkt. Sie dient der transparenten Arzneimittelanalyse. Die anatomisch-therapeutisch-chemische Klassifikation (ATC-Index) beruht auf der Version, die das Projekt „GKV-Arzneimittelindex“ im Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) im Mai 2018 publiziert hat. Diese wird jedes Jahr an die Besonderheiten der Versorgungssituation in Deutschland angepasst. Basis hierfür ist die internationaleATC/DDD-Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation WHO. Nach Einbindung von Krankenkassen, Apothekern, Ärzten und Pharmaindustrie wird der aktualisierte Index jeweils zum 1. Januar des Folgejahres in seine amtliche Fassung überführt. Für 2019 enthält die Klassifikation 6.784 Codes für Arzneistoffe und Arzneistoffkombinationen sowie 3.748 festgelegte Tagesdosen. Über ein Viertel davon sind nationale ATC-Codes des WIdO, deren Anteil an den tatsächlich verordneten Wirkstoffen im Jahr 2017 knapp 30 Prozent betrug
Die WIdO-Themen zum Herunterladen
Analysen – Schwerpunkt: Politikberatung im Gesundheitswesen
Rationale Gesundheitspolitik – Ziel oder Illusion?
Hartmut Reiners, BerlinDas Verständnis von rationaler beziehungsweise sachgerechter Gesundheitspolitik steht zum einen vor der generellen Frage nach der Rationalität von politischen Entscheidungen in pluralistischen, von unterschiedlichen sozialen oder ökonomischen Interessen und kulturellen Normen geprägten Gesellschaften. Zum anderen geht es um die vielfältigen Aufgaben der Gesundheitspolitik und deren möglichst sachgerechte Erfüllung. Dafür müssen politische Mehrheiten gefunden werden. Daher besteht die Rationalität (nicht nur) der Gesundheitspolitik auch in der Abwägung von politischen Realisierungschancen. Das lässt sich anhand von Fragen der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung zeigen.
Wissenschaftliche Politikberatung im Gesundheitswesen
Thomas Gerlinger, Universität BielefeldIm deutschen Gesundheitswesen existiert ein ausdifferenziertes System der wissenschaftlichen Politikberatung. Allerdings greifen politische Entscheidungsträger nur selektiv auf Politikempfehlungen aus der Wissenschaft zurück. Gründe dafür liegen sowohl im politischen System als auch im Wissenschaftssystem. Beide folgen eigenen Perspektiven und Logiken, die häufig nicht kompatibel sind. Politische Entscheidungsträger orientieren sich vor allem am Machterhalt und Machtzuwachs, während die Aufgabe der Wissenschaft darin liegt, wahre Aussagen über Zusammenhänge zu treffen. Zugleich verliert Wissenschaft von ihrem gesellschaftlichen Nimbus, weil sie häufig uneindeutige oder widersprüchliche Ergebnisse produziert und sich Tendenzen einer politischen Indienstnahme von Wissenschaft verstärken.
Aus Erfahrungen lernen: Versorgungsgestaltung braucht ein stimmiges Konzept
Klaus Jacobs, Wissenschaftliches Institut der AOKNoch kein Jahr im Amt, hat die Bundesregierung bereits ein ganzes Feuerwerk an Gesetzen auf den Weg gebracht, die die Gesundheitsversorgung verbessern sollen. Weitere Vorhaben stehen an, etwa zur sektorenübergreifenden Versorgung, für die eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe gebildet wurde. Eine Fülle an Aktivitäten garantiert aber noch keine bessere Versorgung. Dazu ist ein stimmiges Steuerungskonzept notwendig, für das die Erfahrungen mit den bisherigen drei Fehlversuchen der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung genutzt werden sollten. Im Interesse der Patienten sollte künftig insbesondere dezentralen Wettbewerbslösungen wieder ein größerer Stellenwert eingeräumt werden.